Zum Inhalt springen

Quer durch den Gemüsegarten

21. Januar 2011


Die Guten Aussichten, das ist in erster Linie ein Wettbewerb für den Fotonachwuchs: Sieben Studenten präsentieren ihre Abschlussarbeiten, tolle Sache, gibt es wie Sand am Meer. Aber irgendwie haben es die Guten Aussichten in sieben Jahren geschafft, hier herauszustechen, nicht ein Wettbewerb unter vielen zu sein, sondern der Nachwuchswettbewerb. Verstehe einer die Wege der Kulturhierarchien.
Jetzt also: Establishment. Entsprechend fühlt man sich auf einer Gute-Aussichten-Vernissage nicht mehr als Avantgarde, sondern als eine Art Masse, die von Bild zu Bild geschleust wird, zwischen Stylern, die sich sonst nie auf Kunstveranstaltungen verirren, alten Szenehasen, die ohnehin überall hin gehen, wo Blitzlichter, Reden und schlechte Luft zu erwarten sind und Freunden, Kommilitonen, Verwandten der Preisträger. Ist nicht schlimm, nur voll. Aber: Zumindest am Donnerstag in den Deichtorhallen konnte man sich kaum auf die Kunstwerke einlassen, weil ständig von hinten jemand drängelte, von der Seite jemand grüßte und von vorn jemand irritierte, weil: Kenne ich den? Muss ich den kennen? Und um was geht es hier eigentlich?

Worum geht es eigentlich? Mit dieser Frage bringt einen die Ausstellung in Teufels Küche, weil ein gemeinsamer Nenner mittlerweile kaum noch ausmachbar ist, sieht man einmal von den biografischen Ähnlichkeiten der Ausgestellten aus. Oder, wie Deichtorhallen-Kurator Ingo Taubhorn zur Einführung formulierte: Prägende Schulen und vor allem prägende Lehrende, die sich fröhlich Epigonen heranzüchten, gibt es kaum noch. Was zur Folge hat, dass die große Qualität (und gleichzeitig das große Problem) dieser Ausstellung ihre Heterogenität ist: Ganz unterschiedliche Ästhetiken, sogar ganz unterschiedliche künstlerische Motivationen stehen verhältnismäßig unvermittelt nebeneinander, lässt man sich auf eine Bildsprache ein, wird man nur ein paar Meter weiter in eine ganz neue Welt geworfen. Damit muss man erst einmal umzugehen lernen.
Gute Aussichten 2011, da lässt sich, viel deutlicher als in der Vorjahren, kein Trend, keine Mode herauslesen. Es gibt die extrem abstrahierte, mathematisch genaue Installation „Spektrum“ von Katrin Kamrau (FH Bielefeld), deren Witz sich erst nach dreimaligem Um-die-Ecke-Denken erschließt: dass es hier nämlich um eine Dekonstruktion der Fotopraxis geht. Und nur einen Raum weiter findet man die dokumentarische, emotional anrührende Serie „Aussehnsucht“ von Rebecca Sampson (Ostkreuzschule Berlin). „Die Zeit dazwischen“ von Helena Schätzle (Uni Kassel) ist eine historisch-geographisch-biographische Kartographierung Osteuropas, die nicht zuletzt unglaublich gut gehängt ist (das Foto oben verschafft einen kleinen Eindruck), während direkt gegenüber Jan Paul Evers (HBK Braunschweig) mit „Modernismus fängt zu Hause an“ (gäbe es einen Preis für den schönsten Werktitel, Evers hätte ihn verdient) eine eher konzeptionelle Arbeit voll stillem Charme präsentiert. Drei Werke laufen einem eher leicht rein, das coole, unter seiner Bedeutung ein wenig ächzende „Konstruktion von Bewegung – Über das Handeln und die Wahrnehmung des Menschen in einem Gleichgewichtssystem“ von André Hemstedt und Tine Reimer (Hochschule für Künste, Bremen), die poppigbunte, an der Grenze zur Skulptur angesiedelte Spielerei „Somehing specific about everything“ von Samuel Henne (HBK Braunschweig) und der schöne, kalte Technizismus von Stephan Tillmans„Leuchtpunktordnungen“ (Technische Kunsthochschule Berlin).
Das gefällt mir nicht alles gleich gut, klar. Und die Hektik der Vernissage macht es nicht besser (was es allerdings besser macht: die einführenden Worte von Josefine Raab, die es schaffte, mit ganz wenigen Schlaglichtern den Kern der einzelnen Fotos herauszuarbeiten). Aber: Das Unformatierte, Flirrende, Heterogene, nicht zuletzt das Anstrengende dieses Gute-Aussichten-Jahrgangs macht die Präsentation so sehenswert. Ein Ausstellungsbesuch wie ein Gang quer durch den Gemüsegarten, da muss ja auch nicht alles zusamenpassen, aber hinterher hat man doch das Gefühl, etwas durchaus Lohnendes mitgemacht zu haben.

Noch bis 27. 2. in den Deichtorhallen Hamburg, dann in Burghausen, Stuttgart, Washington, Freising und Frankfurt.

Hinterlasse einen Kommentar