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Sechs Männer sitzen an einem Tisch

19. August 2011

Sechs Männer sitzen an einem Konferenztisch. Wir befinden uns im Reich der holzgetäfelten Wände, der gepolsterten Stühle, wir befinden uns im Reich der Hinterzimmergespräche. Ein Hotel, vielleicht. Aber in Wahrheit befinden wir uns gar nicht bei einer echten Konferenz, wir sehen höchstens einer Videokonferenz zu, auf den bequemen Sesseln stehen Bildschirme (das fiel uns zunächst nicht auf, eigentlich sahen wir hier Polster, egal), und von diesen Bildschirmen lächeln der Kölner Architekt Kaspar Krämer, der Journalist Wolfgang Kintscher (Lokalchef bei der Neuen Ruhr Zeitung), der Werber Thomas Rempen, der Manager Dr. Rolf Heyer (Geschäftsführer der landeseigenen Immobilienverwaltung NRW.URBAN), der Essener Planungsdezernent Hans-Jürgen Best und der kritische Bürger Christoph Finger. Ein Platz bleibt frei, auf dem sollte der saudi-arabische Scheich Hani Yamani sitzen, der bildet also eine Leerstelle. Sechs Männer sitzen an einem Tisch und diskutieren: über die städtebauliche Entwicklung auf dem Essener Zechengelände Zollverein.

Alles Lüge, niemand diskutiert hier. Wir befinden uns nicht bei einer Diskussionsrunde, wir befinden uns bei der theatralen Installation „Tagfish“ der Antwerpener Theatergruppe Berlin, das Zusammentreffen der genannten Akteure hat nie stattgefunden. Wiewohl jeder von ihnen mitredet bei der Entwicklung des Ruhrgebiets, jeder glaubt zu wissen, wie sich das Gelände am besten fit machen ließe fürs 21. Jahrhundert: Ein Creative Village wollen sie in den Essener Norden setzen, eine Designhochschule und ein Luxushotel, und wenn sich das Hotel schon nicht in einen der maroden Kühltürme setzen lässt, dann doch wenigstens unter Tage, nein? Jeder hat eine noch abstrusere Idee, und am Ende ist immer das Gegenüber schuld, den Scheich, der den ganzen Irrsinn bezahlen soll, verschreckt zu haben.
Ein wenig arbeiten Berlin so ähnlich wie die Dokumentartheater-Meister Rimini Protokoll: Auf der Bühne stehen keine Schauspieler, sondern echte Menschen, und die verhandeln da ein Problem aus ihrem echten Leben. Bloß steht bei Rimini Protokoll wirklich jemand, der auch auf sein Gegenüber reagiert, bei Berlin haben wir nur einen Bildschirm, der einem anderen Bildschirm gegenüber steht. Eine Interaktion findet nicht statt, die Statements der einzelnen Akteure wurden unabhängig voneinander eingeholt und (extrem geschickt) montiert, damit der Eindruck eines Gesprächs entsteht. „Tagfish“ ist, das muss man leider sagen, extrem manipulativ.
Was nichts an der Sprengkraft dieser Statements ändert. Wenn Werber Rempen dem Journalisten Kintscher vorwirft, mit seinen kritischen Artikeln dem invenstitionsfreundlichen Scheich Angst zu machen, dann klingt in seiner Wut durch, dass Rempen gerne saudi-arabische Verhältnisse hätte, in denen so etwas wie kritische Presse nicht denkbar ist. Überhaupt, kritische Öffentlichkeit: An einer Stelle wird deutlich, dass Planungsdezernent Best den nervtötenden Bürger Finger am liebsten ganz aus der Diskussion ausschließen würde. Ohnehin ist Best immer mehr genervt, nachfragende Bürger sollten bestenfalls draußen bleiben, die Politik nach Möglichkeit auch. Immer klarer wird, dass sich die Diskussion um das Zechengelände verselbständigt hat. Wer hier eigentlich der Nutznießer sein soll, für wen die Fläche überhaupt bebaut wird, tritt vollkommen in den Hintergrund, Hauptsache, es wird gebaut. Der Lappen muss hochgehen, ach so, klar, wir befinden uns ja immer noch im Theater. Und im Hintergrund singt sich immer mal wieder ein Bergmannschor über die Leinwände, „Glück auf, der Steiger kommt“, Figuren jenseits aller Creative-Village-Phantasien, Figuren, wie sie Hans-Jürgen Best wahrscheinlich bis in seine Albträume verfolgen. Schön übrigens, dass der im Laufe des Stücks immer unsympathischer werdende Planungsdezernent kurz darauf selbst hintenüber fällt, als Provinznase, der nicht einmal ausreichend Englisch spricht, um den Scheich zu becircen. Überhaupt: Jeder Beteiligte sieht sich umringt von provinziellen Figuren, und glaubt, nur er selbst wäre in der Lage die Kuh vom Eis zu bringen, würden ihn die anderen nur lassen. Was sie aber nicht tun, weil sie ja so provinziell sind. Köstlich.

„Tagfish“ wurde 2010 produziert, im Kulturhauptstadtjahr, für Theater der Welt in Mülheim und Essen. Noch bis Samstag, 20.8., gastiert das Stück beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel, Hamburg, und es ist bemerkenswert, wie gut sich das eigentlich ureigene Ruhrgebietsthema an die Elbe transportieren lässt. In die Stadt der Elbphilharmonie, ach, Provinz ist überall.

Nachtrag: Einmal war ich auf Zollverein, 2002, während meiner journalistischen Grundausbildung im Hagener Haus Busch. Die Fahrt nach Essen war eine Mischung aus Wandertag und Recherche, wir besuchten das schon existierende Designmuseum und die auf einem geführten Rundgang zugänglichen überirdischen Zechengelände. Geführt wurden wir von einem ehemaligen Bergmann, einem reflektierten Menschen, der traurig war wegen seines zum Museum gewordenen Arbeitsplatzes, der allerdings Realist genug war, zu erkennen, dass der Bergbau im Ruhrgebiet wirtschaftlich keine Zukunft hat. Die Idee einer Eventisierung Zollvereins aber lehnte er von Herzen ab.

Foto: © Berlin

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