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Schulden machen

23. März 2011

Etwas, das ich aus meinem Elternhaus mitgenommen habe: Atomenergie ist böse.

Meine Eltern waren keine Fortschrittskritiker. Mein Elternhaus stand in Schwaben, und Schwaben, das war Daimler, IBM, das war im konkreten Ulmer Fall eine Vorstellung von Wissenschaft, die in erster Linie als anwendungsbezogene Naturwissenschaft an der fünf Jahre vor meiner Geburt gegründeten Uni gedacht wurde. In Schwaben wurde nicht skrupulös gezweifelt, in Schwaben wurde g’schafft. Und wenn dieses Schaffen bedeutete, dass man etwas machte, das bisher noch nicht gemacht wurde, dann war das eben so. Die Nutzung der Atomenergie war die logische Folge dieser Wissenschaftsvorstellung, weswegen in Baden-Württemberg Ende der Siebziger acht Atomkraftwerke kommerziell betrieben wurden, mehr als in jedem anderen Bundesland.
Meine Eltern waren keine Kapitalismusgegner. Die Tatsache, dass die Atomindustrie mit einer politischen Praxis zwischen Lobbyismus, Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen und offener Korruption ein Geflecht aufgebaut haben, das die Atomenergie als künstlich günstigen Strom erscheinen lässt (künstlich, weil die Differenz zwischen angegebenen und tatsächlichen Kosten der Atomkraft von der Öffentlichkeit, also vom Steuerzahler übernommen werden), war im Haus meiner Eltern zweitrangig. Meine Eltern waren kein Großbürgertum, aber sie waren immer nach oben orientiert, und oben, da waren in Schwaben: die Höhergebildeten. Die Wohlhabenden. Die CDU. Das Kapital. Gegen die hatte man nichts.
Meine Eltern waren keine Apokalyptiker. Angst vor einem GAU hatten die keine, und wenn, dann war solch ein GAU ein unvermeidliches Risiko, da musste man mit leben. Eine eigene Ästhetik, ein eigenes Weltbild hatte das aber nicht zur Folge: Die Apokalypse ist ein religiöses Modell, und Religion war in meinem Elternhaus praktisch kein Thema.

Und doch: Atomkraft ist böse, das habe ich mitgenommen, trotzdem. Weil Atomkraftwerke womöglich sicher funktionieren mögen (Fukushima hat auch das widerlegt), eine Frage davon aber nicht in Ansätzen berührt wird: Was macht man eigentlich mit den Überbleibseln? Plutonium hat eine Halbwertszeit von 24000 Jahren, das fällt bei der Nutzung der Atomenergie an, und man weiß nicht, was man mit dem Kram anfangen soll, nutzt aber dennoch fröhlich drauflos, weil: Irgendeine Lösung wird einem über kurz oder lang ja schon einfallen? Hallo?
Das musste eigentlich jedem Schwaben, der noch halbwegs bei Trost war, gegen den Strich gehen: Wie konnte man eine Technik einsetzen, ohne sie zu Ende gedacht zu haben. Atomenergie war ein ungedeckter Scheck, und ungedeckte Schecks waren unseriös. Das habe ich in meinem Elternhaus auch gelernt: Man macht keine Schulden, alles, was man ausgibt, muss zuvor verdient sein (oder man muss sich zumidest sicher sein, das Ausgegebene in absehbarer Zeit wieder reinholen zu können). Atomenergie zu nutzen, das ist, als ob man Schulden machen würde, die die nächsten 5000 Generationen abbezahlen müssen.

Meine Eltern haben sich schwabentypisch ein Häusle gebaut, auf einer Anhöhe am Rand der Stadt. Bei klarer Sicht sind sie auf bayerischer Seite zum Greifen nahe: die Kühltürme des Atomkraftwerks Gundremmingen. Böse.

Edit: Dass die Überschrift ein versteckter Verweis auf die tolle culturmag-Rubrik „Sachen machen“ der tollen Isabel Bogdan ist, war eigentlich gar nicht beabsichtigt. So ist sie allerdings auch gleich noch ein Hinweis auf das leider erst nächstes Jahr erscheinende Buch zum selben Thema, das dann natürlich auch gekauft werden sollte.

One Comment leave one →
  1. 23. März 2011 22:35

    Der Verweis allerdings ist ja sogar so versteckt, dass nicht mal ich ihn bemerkt habe. Danke für die vielen Tolls, und hey, super Idee: vielleicht sind Schulden ja auch eine Sache, die ich mal machen sollte. Ich denke mal drüber nach.

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