Zum Inhalt springen

Wie konnte das alles nur so den Bach runter gehen? (Teil 4 und Schluss)

30. August 2011

Was bisher geschah: Seit zehn Jahren wird Berlin unaufhaltsam zur Kulturmetropole. Hamburg derweil setzt zunächst aufs falsche Pferd, und läuft kulturpolitisch Amok, als klar ist, dass das nichts mehr wird.

4. Auf verlorenem Posten
Es ist nicht alles schlecht. Bei der vorgezogenen Bürgerschaftswahl am 20.2.2011 wurde die personell wie inhaltlich ausgeblutete CDU mit 21,9 Prozent der Stimmen massiv abgestraft, stärkste Partei wurde mit 48,4 Prozent die SPD, die mit Olaf Scholz jetzt den Bürgermeister stellt. Der geschätzte Blogger kid37 weist mich in den Kommentaren darauf hin, dass ich in meiner Chronik des Niedergangs auf dem (halb-)linken Auge blind sei, „eine Klammer fehlt zu Voscherau und dem der CDU vorangegangenen SPD-Senat. Schon damals (…) wurde klar, wie sehr hier generell oft Weitblick und Visionen für die Kulturszene und eben Kreativwirtschaft fehlen“, da hat er zwar grundsätzlich recht (ich rette mich in die Entschuldigung, dass ich als erst 2001 zugezogener Quiddje das SPD-regierte Hamburg gar nicht kennen kann), nur: Olaf Scholz sehe ich seit Jahren immer mal wieder in Premieren und auf Vernissagen, seine beiden Vorgänger von der CDU sah ich dort nie.
Das mag noch nichts sagen, auch die Tatsache, dass die SPD mit einer absoluten Mehrheit regiert und so dem Risiko der Machtarroganz ausgesetzt ist, verheißt nichts Gutes. Aber immerhin, es scheint der politische Wille da zu sein, für Kulturpolitik richtig Geld in die Hand zu nehmen. Und mit der aus Wowereits Berlin eingekauften parteilosen Barbara Kisseler hat Hamburg endlich wieder eine Kultursenatorin, die im Gegensatz zu ihren Vorgängern erstens ein Standing in der Szene hat und zweitens ausreichend intellektuelle Schärfe. Ach, was hatten wir das vermisst.
Und es gibt, die vorangegangenen Artikel erweckten vielleicht einen falschen Eindruck, einige, die hier etwas vermissten. Die Hamburger Kulturszene hat durchaus wache Köpfe, die einen guten Job machen, Joachim Lux etwa hat aus dem unter Ulrich Khuon nach und nach etwas zu erfolgsverwöhnten Thalia Theater in kürzester Zeit einen ziemlich coolen Diskursraum gemacht und gleichzeitig eine ganz eigene Ästhetik der Angreifbarkeit und des Unfertigen entwickelt. Man mag Dirk Luckow vorwerfen, dass die Deichtorhallen seit Beginn seiner Intendanz vor allem mit arg leicht konsumierbaren Ausstellungen an der Grenze zum Populismus auffielen, dann muss man ihm allerdings auch zugestehen, dass diese Ausstellungen, seien das nun Gilbert & George (hier mein Ausstellungsbericht) oder die Sammlung von Julia Stoschek (hier), dass all diese Ausstellungen funktionierten. Zumal Luckow dazu noch die Mammutaufgabe wuppte, die hochkarätige Sammlung Falckenberg organisatorisch in die Deichtorhallen einzugliedern. Und, überhaupt, wer Pop ohne Populismus möchte, für den gibt es Florian Waldvogels Ausstellungsprogramm im Hamburger Kunstverein, diskursiv und politisch, mit Ausstellungen wie „Freedom of Speech“ (hier). Außerdem hat es Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard mit einer klugen Dramaturgie geschafft, das Zentrum für freies Theater trotz der Lage weit ab von der Innenstadt zu einem glühenden Nachtleben-Hotspot zu machen. Wobei gerade Kampnagel auch beweist, wie fragil dieser Erfolg ist: Der extrem erfolgreiche Leiter des Kampnagel-Sommerfestivals, Matthias von Hartz, der als hochanalytischer Kopf einen interessanten Reibungspunkt zum Bauchmenschen Deuflhard darstellte, wird Hamburg 2013 verlassen, Ziel: spielzeit’europa, das Theaterprogramm der Berliner Festspiele.
Dazu kommen natürlich Sorgenkinder, allen voran das Deutsche Schauspielhaus, das führungs- und vor allem visionslos dahintreibt, bang auf 2013 wartend, wenn Karin Beier vom Schauspiel Köln kommt, endlich die intendantenlose Zeit beendet (momentan verwaltet das Haus ein Kollektiv aus kaufmännischer Geschäftsführung und Dramaturgie) und wahrscheinlich der gesamten Belegschaft kündigt. Dann die Oper, wo Simone Young fast ausschließlich auf Kulinarik setzt und dabei jeglichen Entwicklungen im Regietheater, nein, nicht einmal hinterherläuft. Und schließlich die Kunsthalle, an der Hubertus Gaßner unter solchen Finanzproblemen ächzt, dass der Ausstellungsbetrieb kaum aufrechtzuerhalten ist, gleichzeitig aber auch keine Visionen entwickelt, wo er mit dem Museumskonglomerat eigentlich hinwollen würde, wäre denn ausreichend Geld da. Aber das sind Sorgenkinder, wie es sie in wahrscheinlich jeder größeren Stadt gibt. Damit könnte man leben.

Womit man aber kaum noch leben kann, das ist das Gefühl der halbwegs erfolgreichen Kulturmacher, nicht ohne Fortune zu kämpfen und dennoch auf verlorenem Posten zu stehen. Das Gefühl, in einer Stadt zu arbeiten, die sich zwar nach einer langen Durststrecke langsam wieder für Kultur zu engagieren scheint, im Grunde aber keinen Sinn für die Künste hat.
Symptomatisch ist der Zustand der erfolgreichsten kulturellen Initiative der vergangenen Jahre, der Besetzung des Gängeviertels: Die Künstler, die hier auf Verdrängung und Formierung des Stadtraums hinwiesen, haben vordergründig einen Sieg errungen, das Quartier wird nicht wie geplant abgerissen und für ein Büroprojekt verramscht. Aber längst sind die Verhandlungen über die weitere Nutzung festgefahren, das Interesse der Politik an einer künstlerischen Bespielung der Stadt geht wieder gegen Null.

Und das tut mir in der Seele weh: dass die Stadt, die ich doch mag, in der ich seit zehn Jahren doch gerne lebe, sich so überhaupt nicht interessiert. Für Kunst.

2 Kommentare leave one →
  1. 2. September 2011 20:12

    Danke für die sehr umfangreiche Zusammenfassung, und genau riochtig, den „Propellermann“ mit der Fliege, der – von von Beust noch gefeuert – kurzzeitig unter Alhaus Kultursenator spielen durfte – kaum zu erwähnen. Ich glaube, damit war der Tiefpunkt erreicht. Beisteuern sollte man vielleicht noch die Haltung der Grünen im CDU/GAL-Senat. Gerade die von Kulturarbeit weitgehend unbeleckten Aussagen von Frau Fegebank zur geplanten Schließung des Altonaer Museums („Wieso, die Sammlung bleibt doch erhalten.“) und die des Fraktionsführers Kerstan („Das Schauspielhaus soll doch einfach die Einnahmen erhöhen.“) waren ein Hohn gegenüber den Kulturschaffenden in dieser Stadt. Interessante Pointe auch, daß einzig die Linke dafür war, den Untersuchungsausschuss zum Desaster Elbphilharmonie über die Legislaturperiode hinaus fortzuführen. Alle anderen waren nämlich dafür, den klammheimlich „sterben“ zu lassen, wie es das Gesetz wohl vorsieht. Zur Ehrenrettung Gaßners sei noch erwähnt, daß ich seine Chuzpe auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen mit dem fliegetragenden Kultursenator sehr bewunderte. Als er, gezwungen, 200.000 Euro einzusparen, einfach einen Teil der Kunsthalle schließen ließ und so die Stadt landab, landauf düpierte. Der Hallo-wach-Effekt war gewaltig und Hamburgs Kulturszene sogar mal wieder auf Seite eins im bundesweiten Feuilleton.

    Auf Frau Kisseler sind große Hoffnungen gesetzt. Ich bin sehr gespannt.

    • 2. September 2011 21:30

      Kann ich alles so unterschreiben. Stuth wollte ich nicht erwähnen, der war doch nur augenfälligster Ausdruck des kulturellen, nein, nicht Niedergangs, des kulturellen Auf-dem-Boden-Aufschlagens unter Ahlhaus. Und das Thema Hamburger Grüne ist ohnehin etwas, das noch einmal eine ganz neue Analyse lohnen würde. Da ging bei mir einiges an Hoffnungen den Bach runter: Auch wenn ich weder grün noch schwarz gewählt habe, erwartete ich von der schwarz-grünen Koalition irgendwo einen Impuls, irgendwo eine Veränderung der politischen Kultur. Konnte jemand ahnen, dass es so straight in Richtung Kulturlosigkeit gehen würde? Ich nicht.

      Ein kleiner Lichtblick: Anja Hajduk sah ich immer mal wieder in Premieren, im Gegensatz zu ihren Kabinettskollegen. Da interessierte sich augenscheinlich jemand wirklich. Hat aber auch nichts gebracht.

Hinterlasse einen Kommentar